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Hier finden Sie Bilder und Texte von und über Jachin Baumgartner, welche für Werbezwecke genutzt werden dürfen.
Promotext zu Away From Today von Chris de Simoni
Traumpilot
von Christian de Simoni
Gegen Mitternacht erwachte Leonie aus einem Albtraum. Was soll dieses Pochen, das Tappen, ein Besucher, so spät in der Nacht, wer kann das sein? Ins Laken gehüllt richtete sie sich auf und sah sich um. Auf dem Fenstersims sass eine Krähe und klopfte mit dem Schnabel gegen die Scheibe. Mit einer Handbewegung jagte Leonie sie weg und liess sich wieder ins Bett fallen. Kurz bevor sie wieder einschlief, bemerkte sie, dass die Krähe wieder auf dem Fenstersims sass. „Willst du“, glaubte Leonie den Vogel sprechen zu hören, „den Rest dieser und jede weitere Nacht immer wieder aufschrecken? Wovon träumst du?“, sprach die Krähe und tappte von einem Bein aufs andere, „von einem 20-Zoll Plasma-TV, einem Haus am See, dem neusten Plastiktelefon, einer anderen Nase, dem perfekten Job? Jagst du diesen Träumen den ganzen Tag hinterher und vergisst dabei, die Augen zu öffnen? Hast du dir mal überlegt, wie blöd der Satz ist: Lebe deinen Traum?“ Leonie dachte nach. „Nicht alles, wovon ich träume, lässt sich kaufen“, antwortete sie, „Liebe zum Beispiel, Mitgefühl.“ – „Ich kenne das“, glaubte Leonie die Krähe mit einem ironischen Unterton antworten zu hören: „Hab ich mehrmals erlebt. Zuerst war sie alles für mich, die Traumfrau. Doch wir lernten uns besser kennen. Da war etwas an der Art, wie sie mich ansah oder ein Sprachfehler zum Beispiel. Nicht das, was ich mir vorgestellt, wovon ich geträumt hatte. Es war zu real.“ – „Aber“, sagte Leoni, „geht es denn nicht auch ohne Träume? Ist es nicht gut, am Leben zu sein?“ – „Ich bin immer irgendwo dazwischen“, schien die Krähe zu sprechen, „eine Mischung aus Fast Food und Suizid, wenn du verstehst, was ich meine.“ Leonie ging aufs Klo, trank Wasser, strich sich das Gesicht glatt. Als sie zurückkam, hatte der Wind das Fenster aufgeweht, die Krähe sass nun auf dem Schrank. Lachte sie? Leonie beschloss, den Vogel zu ignorieren, schloss das Fenster und schlich, die Augen zugekniffen, zurück ins Bett. Es war kalt. Morgen wird es vielleicht schneien. Die Realität, dachte Leonie, ist vielleicht nichts weiter als eine besonders gelungene Lüge. Und sie glaubte den Kommentar der Krähe zu hören: „Wir ernähren uns von Lügen und sind, ohne es zu merken, zusammen allein. Denn natürlich träumen wir ständig. Vom besseren Leben, Schönheit, Erfolg, Liebe und Leidenschaft, von einem Neubeginn und bewegen uns dabei immer weiter weg von heute. Glücklich ist, wer genug Fantasie hat. Um dem Ganzen irgendwie Sinn, Farbe und Form zu geben. Damit ist es möglich, einfach wieder bei Null zu beginnen, hinter dem Schönen eine neue Sehnsucht aufzubauen. Eine neue erste Begegnung, ein neues Angebot. Ein neuer Traum entsteht, eine neue Reise beginnt, wir treiben davon: Ich möchte dich haben ... Nun aber genug“, sprach die Krähe – oder war es der Wind? – „versuchen wir es doch“, krächzte sie, „stechen wir in den See. Wenn auch unser Schiff dem Untergang geweiht ist, volle Fahrt voraus. Keine Zeit für Rückblenden, Vorwürfe, sorry, wir sind nun unterwegs!“ Und sie schien Leonie hochzuheben. Aus dem Bett, durchs Fenster, die Scheibe, raus in die Nacht, auf den Ast, auf dem sie sonst wohl sitzt. Auf einen anderen Planeten zu. Leonie fühlte sich entfremdet und doch irgendwie echt. Die Realität ist das schlechtere Angebot, dachte sie. „Lass uns abheben“, hörte sie die Krähe rufen, „was sollen Nüchternheit, das Banale, Leise? Lass uns Lärmen, Trinken, Lieben, bis Morgen verdampft. Die Zukunft ist irreal, morgen ist morgen. Wir leben heute. Schiessen wir uns selbst ins All! Der Sturz kommt früh genug und bestimmt!“
Die Krähe hatte wohl recht, denkt Leonie, als sie am nächsten Morgen in einer Lache aus Selbstmitleid, Bereuen und Jammern erwacht. „So ist das Leben, sorry“, glaubt sie die Krähe weit draussen noch sprechen zu hören. Sehen kann sie den Vogel nicht mehr. Es bleibt nur eine Ahnung, war es ein Traum? Sie hat schlecht geschlafen, Kopfschmerzen, muss sich übergeben und dann beeilen. Hat gestern vergessen, den Termin um acht zu verschieben. Wenn sie doch nur ein Auto hätte. Oder einen Mann, der sie fährt. Wenn es doch Sommer wäre und heller, wärmer. Wenn sie doch jünger wäre oder zumindest noch eine Viertelstunde liegenbleiben könnte – es ist heute, und sie wünscht sich schon wieder weg.
Kursiv gesetzt sind Songtitel und Textzeilen aus dem Debutalbum der Bieler Band „Dream Pilot“, erschienen im Oktober 2015. Die Krähe stammt von Edgar Allen Poe, ihre Gedanken und diejenigen von Leonie sind seinen und den Lyrics von Jachin Baumgartner nachempfunden und geben im besten Falle deren Ideen wieder. Die Musik dazu findet sich auf der CD „Away From Today“, erhältlich via dream-pilot.net.
Christian de Simoni ist Schriftsteller und lebt in Bern. Infos und Kontakt: cdesimoni.net
Review von November auf Soundsnooper
Sowas bereitet Freude! Hier das wundervolle Review meiner Novemberplatte auf Soundsnooper:
Herzlichen Dank an Mr. Soundsnooper Urs Frei!
Promotext November
Jachin Baumgartner: „November“
Von Christian de Simoni
Eine leicht melancholische Stimmung verbindet die 14 Songs dieser CD. Am Stück gehört, werden sie zu einem einheitlichen Bild. Viele der Textzeilen und Melodien graben sich tief ein und begleiten einen noch lange Zeit. Zurück bleiben eine Ahnung von Frühling, ein verhaltenes Lächeln zwischen den Zähnen. Es sind Melodien, die glücklich machen, weil sie vom Leben erzählen, wie es ist: Mal Samt, mal Schafsäckel. Auf der Suche nach Schönheit und Glück schwingt sich Jachin Baumgartners Stimme in die Höhe, franst an den Rändern aus, kratzt an der Melodie, wird von einem Chor aufgesogen oder bleibt als beinahe Sprechen in Bodennähe. „November“ ist Wintermusik. Mit der Hoffnung, dass es in kurzer Zeit wie immer aufwärts geht.
„The day I remember, was a day back in december“
Als ich Jachin Baumgartner alias Jack Blue, wie er sich damals nannte, zum ersten Mal traf, im Speisewagen des CityNightLine nach Berlin, sprach er vor einer Menge anderer Gäste über Musik und trank Whiskey Cola. Die Zuhörerinnen und Zuhörer zogen sich irgendwann zurück in ihr Schlafabteil. Jachin blieb. Also setzte ich mich ihm gegenüber. Wir tranken weiter und sprachen mindestens bis Wolfsburg über Pink Floyd, Achtzigerjahre-Haarmetal und David Bowie. Kurz bevor das Frühstück serviert wurde, gab er mir eine CD seiner damaligen Band namens Estranged, schrieb seine Telefonnummer und E-Mailadresse auf das selbstgedruckte Booklet und sagte: „Hör’s mal und schreib mir, ob sie dir gefällt.“ Ich steckte die CD ein, bevor wir selbst zurück an unseren eigentlichen Schlafplatz wankten, um uns noch eine Stunde hinzulegen.
„Maybe I’m just a dream away.“
Nach der Matura, erzählte Jachin mir später, habe er sich für ein paar Monate in seinem Zimmer eingesperrt, Gitarre gespielt und Songs geschrieben. Darunter war auch November, der Titelsong dieser CD. Die ersten Zeilen sind nun a cappella, der Song ist unaufgeregt arrangiert und perfekt abgemischt. Jedes Mal, wenn ich „November“ höre, begleitet er mich eine Weile. Von den mindestens zwanzig verschiedenen Versionen, die ich unterdessen kenne, ist die Version auf der CD die schönste.
„Falling down.“
Der Zufall wollte es, dass wir uns kurze Zeit nach der Ankunft in Berlin als Zimmernachbarn in einem kleinen Hostel in Schöneberg wiederfanden. Von der Echtheit seiner Rockstar-Attitüde war ich spätestens dann überzeugt, als wir eines Abends das halbe Mobiliar aus dem Fenster auf die Strasse hinaus warfen. Unser Glück, dass die Aktion nicht bemerkt wurde. Im Nachhinein mag sie lustiger und krasser scheinen, sie war berechtigt.
„Live for Love“
Wie noch oft waren auch in jenen Tagen eine Frau und eine problematische Liebe Inspiration für einen neuen Song. Die Liebe ist das zentrale Thema aller seiner Lieder, eines davon hieß programmatisch Love Addicts. Mit seiner Love-Band hörte ich Jachin in einem Keller in Biel und in einer Kirche. Akustisch und sehr professionell. Im Repertoire, das die drei Jungs auch an Hochzeiten und Festen spielten, waren einige der Songs, die es auch auf seine Solo-CD geschafft haben. Sie handeln von den vier Jahreszeiten, die auch die Songs selbst alle mehrmals durchliefen, obwohl sie nun alle ein wenig an den Winter erinnern. Sie schmiegen sich an wie eine warme Decke.
„Maybe your garden/ isn’t as green as it seems.“
Mit Wohlfühlen ist es indes nicht so weit her. Jachin ist ein sehr kritischer Mensch, die Texte seiner Songs sind oft gesellschaftskritisch. Unaufdringlich, doch mit beißendem Sarkasmus denunzieren sie Selbstlügen, entlarven Illusionen. Vielleicht schaut manchmal der alte Meister Roger Waters über die Schultern, wie er es auch uns beiden tat, allerdings von vorne, aus dem Fernseher in Jachins kleiner Altstadtwohnung, gegenüber dem Polizeipräsidium.
„And here comes the night“
Jachins markante Stimme, die an den Rändern bricht und mutig bis in die Kopfstimme klettert, gewann in den Jahren einiges an Sicherheit, sodass er sie nun wie zum Dank noch häufiger schleifen lässt. Als Gegengewicht dazu haben seine Piano- und Gitarrenarrangements eine glasklare Präzision, die Zeugnis ablegt von unermüdlichem Arbeiten, von unzähligen Tagen und Nächten in immer wieder anderen Studios und Übungsräumen. Alte Fabriken, selbst verrammelte Fenster, reklamierende Nachbarn, Lärmklagen, Umzüge: alles überlebt und immer weitergemacht. Als Sänger und Gitarrist der Band Dream Pilot, als Bassist bei Accolade, als Sänger von Perfect Day, als Tambour: Jachin war stets mit derselben Ausdauer und dem Willen zur Präzision am Werk.
„I am here in my atmosphere.“
All die Jahre, all der Eifer, der in diesen 14 Liedern steckt, sie sind wie weggeblasen von der Leichtigkeit, die diese Aufnahmen trägt und von der ich allen empfehlen kann, sich selbst ein Bild zu machen: Kaufen Sie die CD und hören Sie sie. Am besten gleich jetzt, im November und am Stück. Mehrmals.
Christian de Simoni, Dr. phil., Schrifsteller in Bern.
Infos: http://www.cdesimoni.net/