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Jachin Baumgartner: „November“

Von Christian de Simoni

 

Eine leicht melancholische Stimmung verbindet die 14 Songs dieser CD. Am Stück gehört, werden sie zu einem einheitlichen Bild. Viele der Textzeilen und Melodien graben sich tief ein und begleiten einen noch lange Zeit. Zurück bleiben eine Ahnung von Frühling, ein verhaltenes Lächeln zwischen den Zähnen. Es sind Melodien, die glücklich machen, weil sie vom Leben erzählen, wie es ist: Mal Samt, mal Schafsäckel. Auf der Suche nach Schönheit und Glück schwingt sich Jachin Baumgartners Stimme in die Höhe, franst an den Rändern aus, kratzt an der Melodie, wird von einem Chor aufgesogen oder bleibt als beinahe Sprechen in Bodennähe. „November“ ist Wintermusik. Mit der Hoffnung, dass es in kurzer Zeit wie immer aufwärts geht.

 

„The day I remember, was a day back in december“

 

Als ich Jachin Baumgartner alias Jack Blue, wie er sich damals nannte, zum ersten Mal traf, im Speisewagen des CityNightLine nach Berlin, sprach er vor einer Menge anderer Gäste über Musik und trank Whiskey Cola. Die Zuhörerinnen und Zuhörer zogen sich irgendwann zurück in ihr Schlafabteil. Jachin blieb. Also setzte ich mich ihm gegenüber. Wir tranken weiter und sprachen mindestens bis Wolfsburg über Pink Floyd, Achtzigerjahre-Haarmetal und David Bowie. Kurz bevor das Frühstück serviert wurde, gab er mir eine CD seiner damaligen Band namens Estranged, schrieb seine Telefonnummer und E-Mailadresse auf das selbstgedruckte Booklet und sagte: „Hör’s mal und schreib mir, ob sie dir gefällt.“ Ich steckte die CD ein, bevor wir selbst zurück an unseren eigentlichen Schlafplatz wankten, um uns noch eine Stunde hinzulegen.

 

„Maybe I’m just a dream away.“

 

Nach der Matura, erzählte Jachin mir später, habe er sich für ein paar Monate in seinem Zimmer eingesperrt, Gitarre gespielt und Songs geschrieben. Darunter war auch November, der Titelsong dieser CD. Die ersten Zeilen sind nun a cappella, der Song ist unaufgeregt arrangiert und perfekt abgemischt. Jedes Mal, wenn ich „November“ höre, begleitet er mich eine Weile. Von den mindestens zwanzig verschiedenen Versionen, die ich unterdessen kenne, ist die Version auf der CD die schönste.

 

„Falling down.“

 

Der Zufall wollte es, dass wir uns kurze Zeit nach der Ankunft in Berlin als Zimmernachbarn in einem kleinen Hostel in Schöneberg wiederfanden. Von der Echtheit seiner Rockstar-Attitüde war ich spätestens dann überzeugt, als wir eines Abends das halbe Mobiliar aus dem Fenster auf die Strasse hinaus warfen. Unser Glück, dass die Aktion nicht bemerkt wurde. Im Nachhinein mag sie lustiger und krasser scheinen, sie war berechtigt.

 

„Live for Love“

 

Wie noch oft waren auch in jenen Tagen eine Frau und eine problematische Liebe Inspiration für einen neuen Song. Die Liebe ist das zentrale Thema aller seiner Lieder, eines davon hieß programmatisch Love Addicts. Mit seiner Love-Band hörte ich Jachin in einem Keller in Biel und in einer Kirche. Akustisch und sehr professionell. Im Repertoire, das die drei Jungs auch an Hochzeiten und Festen spielten, waren einige der Songs, die es auch auf seine Solo-CD geschafft haben. Sie handeln von den vier Jahreszeiten, die auch die Songs selbst alle mehrmals durchliefen, obwohl sie nun alle ein wenig an den Winter erinnern. Sie schmiegen sich an wie eine warme Decke.

 

„Maybe your garden/ isn’t as green as it seems.“

 

Mit Wohlfühlen ist es indes nicht so weit her. Jachin ist ein sehr kritischer Mensch, die Texte seiner Songs sind oft gesellschaftskritisch. Unaufdringlich, doch mit beißendem Sarkasmus denunzieren sie Selbstlügen, entlarven Illusionen. Vielleicht schaut manchmal der alte Meister Roger Waters über die Schultern, wie er es auch uns beiden tat, allerdings von vorne, aus dem Fernseher in Jachins kleiner Altstadtwohnung, gegenüber dem Polizeipräsidium.

 

„And here comes the night“

 

Jachins markante Stimme, die an den Rändern bricht und mutig bis in die Kopfstimme klettert, gewann in den Jahren einiges an Sicherheit, sodass er sie nun wie zum Dank noch häufiger schleifen lässt. Als Gegengewicht dazu haben seine Piano- und Gitarrenarrangements eine glasklare Präzision, die Zeugnis ablegt von unermüdlichem Arbeiten, von unzähligen Tagen und Nächten in immer wieder anderen Studios und Übungsräumen. Alte Fabriken, selbst verrammelte Fenster, reklamierende Nachbarn, Lärmklagen, Umzüge: alles überlebt und immer weitergemacht. Als Sänger und Gitarrist der Band Dream Pilot, als Bassist bei Accolade, als Sänger von Perfect Day, als Tambour: Jachin war stets mit derselben Ausdauer und dem Willen zur Präzision am Werk.

 

„I am here in my atmosphere.“

 

All die Jahre, all der Eifer, der in diesen 14 Liedern steckt, sie sind wie weggeblasen von der Leichtigkeit, die diese Aufnahmen trägt und von der ich allen empfehlen kann, sich selbst ein Bild zu machen: Kaufen Sie die CD und hören Sie sie. Am besten gleich jetzt, im November und am Stück. Mehrmals.

 

 Christian de Simoni, Dr. phil., Schrifsteller in Bern.

Infos: http://www.cdesimoni.net/